Gold für den Deutschland-Achter

Olympische Spiele 1988 in Seoul

Das mit Spannung erwartete Rennen steht bevor … Die Könige des Rudersports – die Männer in ihren Achtern – sind am Start ! Sie liegen bereit, um in See zu stechen …

Tausende von Schaulustigen an der Regattastrecke, die sich dieses spannende Finale nicht entgehen lassen wollen. Es herrscht Windstille – kein Lüftchen regt sich. Absolute Ruhe – die Ruhe vor dem Sturm ? Da ertönt der Startschuss ! Auch die Boote schießen nun aus ihren Startlöchern …

Die Ruderer aller  Nationen legen sich gleich mächtig ins Zeug, obwohl sie nur wenig anhaben. Wahrscheinlich würden sonst auch die Boote sinken. Sie fliegen fast über die vorgezeichneten Bahnen, die Ruder peitschen ins Wasser, es entsteht ein Kopf an Kopf Rennen. Das ist gar nicht so einfach bei so vielen Köpfen ….

Das Publikum ist begeistert und feuert die Mannschaften stimmgewaltig an. Langsam schiebt der Deutschland-Achter seine Bugspitze nach vorn, lässt die Amerikaner, Russen und die Mannen aus Australien hinter sich. Diese Tatsache ist um so erstaunlicher, da der letzte Mann im Boot, der keine Ruder mehr abbekommen hat, scheinbar noch die Zeit findet, Kaffee kochen zu wollen … Gerade holt er den großen Kaffeefilter für 8 Personen hervor, setzt diesen an den Mund und pustet hinein. Der Schlagmann, der dieses aus nächster Nähe mit ansieht, scheint besonders darüber verärgert zu sein. Schon wieder kein Kaffee wie beim letzten Vorbereitungsrennen in Luzern ! Auch da war der Filter schon verstopft gewesen …

Er legt sich daher verstärkt in die Riemen, spornt seine Kameraden im Boot zu noch größerer Leistung an. Vielleicht gibt’s ja hinter der Ziellinie eine Cafeteria, in der man preiswert eine Tasse Kaffee bekommen kann ? Man muss natürlich nur sehen, vor den anderen Booten da zu sein, um längere Wartezeiten zu vermeiden. Also nichts wie los ….

Wie eine Rakete schießt das deutsche Boot durch das Wasser. Der legendäre Ruderprofessor mit den beiden Vornamen – Karl Adam – hätte sicherlich seine Freude an diesem Rennen in Seoul gehabt !

Nur jetzt nicht umkippen, denn der neue Trainer hat mal wieder vergessen, die Schwimmwesten ins Boot zu legen.

Der Deutschland-Achter baut seine Führung aus, es ist kaum zu glauben. Geht das wirklich mit rechten Dingen zu ? Haben die Deutschen vielleicht doch heimlich einen Außenbordmotor angebracht ?

Die anderen Boote fallen immer weiter zurück …  Inzwischen haben auch hier die Hintermänner ihre Kaffeefilter hervorgeholt. Wahrscheinlich haben sie eingesehen, dass sie doch keine Chance mehr auf die Goldmedaille haben …

Wenn man sich als Außenstehender das Rennen nun so betrachtet, sollte man nicht denken, dass es sich hierbei um eine der sogenannten Kaffeefahrten handelt, bei der gleich Rheumadecken, Kochtöpfe und ähnliche Artikel angeboten werden. Dieses wäre auch schon aus Platzgründen sicherlich nicht möglich !

Die 8 Athleten und der kleine Mann ohne Ruder haben sich sowieso schon mit Mühe und Not in das schmale Boot gequetscht. Vielleicht hätte man doch etwas schmächtigere Männer für diese Sportart aussuchen sollen, da wäre dann für jeden Einzelnen mehr Platz gewesen. So sitzen die 2-Meter-Männer eingequetscht auf den schmalen Holzbänken im Boot und streben dem Ziel näher …

Über die Hälfte der Strecke ist bereits zurückgelegt. Der Kleine hinten im Boot pustet noch immer in den Kaffeefilter ! Er scheint es nicht mehr zu schaffen, noch vor Beendigung des Rennens den Kaffee für seine Mannschaftskameraden fertig zu bekommen … Die Wut der Männer im Boot steigt ! Sie haben jetzt ihre Führung gegenüber den anderen Booten auf 3 Längen ausgebaut. Das Publikum am Rande der Strecke schaut ungläubig durch die Feldstecher. Auch die Begleitfahrzeuge auf der für sie eigens ausgebauten Rennstrecke am Ufer können diesem hohen Tempo einfach nicht mehr folgen. Sie liegen ebenfalls schon einige Kühlerhauben zurück …

Der Deutschland-Achter liegt noch immer an der Spitze, aber die anderen Boote holen nun mächtig auf ! Es ist ein packendes Rennen !! Der Kleine hinten im Boot hat inzwischen seinen Kaffeefilter beiseite gelegt und beobachtet die anderen Bahnen, wo die gegnerischen Mannschaften immer näher kommen … Er ist neben dem Kaffee kochen unterwegs auch dafür verantwortlich, dass das Boot nicht aus der Bahn getragen wird. Aber wer sollte das bei dem hohen Tempo zustande bringen ? Er wird in Fachkreisen auch Steuermann genannt, obwohl im Boot gar kein Lenkrad angebracht ist. Ich glaube vielmehr – auch von seiner Statur her – dass er der Steuerberater für die anderen Acht im Boot ist …

Das Ziel kommt näher ! Nur noch wenige Meter … Der Deutschland-Achter führt mit einer halben Bootslänge vor den Verfolgern und fährt somit als erster durch das  Ziel. Riesen-Jubel !!! Geschafft !!! Haben jetzt eigentlich nur die vier ersten Männer im Boot eine Goldmedaille  errungen ? Nein – natürlich nicht. Die Olympische Idee besagt, das keiner leer ausgehen soll. Auch nicht der Kleine hinten im Boot …

Völlig erschöpft, doch mit strahlenden Gesichtern rudern die Sieger im Zick-Zack-Kurs, obwohl sie gar nichts getrunken haben,  an den Bootsanleger. Der Kleine hinten im Boot hält sich dabei die Hände vors Gesicht … Sicherlich aus lauter Scham, weil das mit dem Kaffee unterwegs wieder nicht geklappt hatte ! Dafür wird er von den Anderen über Bord ins kalte Wasser geworfen. Welch ein  trauriger Anblick …

Gold-Achter

Olympische Spiele 1988 in Seoul

Am Ufer wartet jedoch schon das Schiedsgericht. Die Herren in Schwarz zählen noch einmal die Personen im Boot durch. Tatsächlich waren es nur Acht, wie die Vorschriften für Ruderer im Achter  das vorsehen, ohne den Steuermann ! Wären es mehr gewesen – eventuell noch ein blinder Passagier vielleicht – dann hätte das unmissverständlich die Disqualifikation bedeutet und alle Mühen wären umsonst gewesen. Kaum auszudenken, wie die freudetrunkenen Deutschen daheim vor ihren Fernsehgeräten reagiert hätten. Eine Staatstragödie wäre sicherlich die Folge gewesen…

Nun die Siegerehrung ! Hoffentlich haben auch wirklich alle Platz auf dem kleinen Siegerpodest, das extra dafür aufgebaut worden ist.  Die Nationalhymne ! Nachdem dann alle Neune – der Kleine ist inzwischen auch wieder aufgetaucht und steht wie ein begossener Pudel ebenfalls mit auf dem Siegertreppchen – einen kleinen Blumenstrauß, einen kräftigen Händedruck der Offiziellen, ein dickes Küsschen der hübschen Hostessen und zu guter letzt – nicht zu vergessen – natürlich ihre Goldmedaille erhalten haben, baden sich die erfolgreichen Sportskanonen noch kurz im nicht enden wollenden Applaus der tosenden Menge. Vier Jahre Schweiß, Trainingslager und weitere schmerzhafte Entbehrungen sind mit einem Schlag vergessen ….

Bevor es nun in den wohlverdienten Urlaub in die Berge geht – vorher noch schnell in die Cafeteria !!!!

( Nach einer wahren Begebenheit  – Oktober 1988 )

 



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